Jan Böhmermann und sein „Schmähgedicht“ über den türkischen Präsidenten Erdoğan ist seit seiner Entstehung in aller Munde. Die Stellungnahme der deutschen Kanzlerin kritisch hinterfragt und zerteilt eine Nation. Doch seit diesem Gedicht ist eine ethische Frage wieder mehr in den Vordergrund getreten. Und beschäftigt Gesellschaft, Ethik Kommissionen, Politiker und Journalisten gleichermaßen.
Wie viel Presse- und Meinungsfreiheit ist zuviel Freiheit?
Die deutsche und österreichische Verfassung besagt, dass es Jedermann frei steht seine Meinung im gesetzlichen Rahmen zu äußern und sich auch entsprechend zu informieren.
Österreich: Artikel 13 Staatsgrundgesetz:
„Jedermann hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck oder durch bildliche Darstellung seine Meinung innerhalb der gesetzlichen Schranken frei zu äußern.
Die Presse darf weder unter Censur gestellt, noch durch das Concessions-System beschränkt werden. Administrative Postverbote finden auf inländische Druckschriften keine Anwendung.“
Deutschland: Artikel 5, Absatz 1 Grundgesetz:
„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift oder Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“
(Quelle)
So darf also jeder ungeschönt seine Meinung bilden, äußern und verbreiten, solange sie sich im gesetzlichen Rahmen bewegt. Dies ist auch in den letzten Monaten in Europa passiert und erntete aus verschiedenen Richtungen nicht zwingend nur Lob. Die ethische und moralische Frage die sich viele Menschen stellen, wie weit darf man mit seiner Meinung gehen? Ist es zwingend erforderlich seinen Ärger und seinen Unmut über Parteien, einzelnen Politikern, ganzen Völkergruppen oder Nachbars Hund zum Ausdruck zu bringen und hierbei verbal unter die Gürtellinie zu schlagen?
Jan Böhmermann erntete mit seinem Gedicht viel Zuspruch seitens Kollegen und Gesellschaft. „Es gehört endlich mal gesagt“, war die eine oder andere Aussage zum Thema. Eine Notwendigkeit darüber ob gewisse Politiker öffentlich diffamiert werden sollten, soll hier nicht Gegenstand des Beitrages sein und unterliegt ebenso der freien, persönlichen Meinungsfreiheit. Und doch bleibt die Frage ob es denn nötig ist, auf derartigem Niveau seine Meinung zu äußern.
Ungeschönte Wahrheiten oder lieber hinter vorgehaltener Hand?
Während in Deutschland, Österreich das Recht der Presse- und Meinungsfreiheit aktuell wieder ungeahnte Ausmaße annimmt, ist jene Freiheit in anderen Ländern Europas aktuell wieder in Gefahr. Doch dabei beinahe jeder öffentliche Ausspruch, welcher aus dem Rahmen fällt, mit jener Freiheit argumentiert. Ist dies eine Folgeerscheinung, wenn es zuvor in diesen Ländern „zu weit“ gegangen ist? Kann Presse- und Meinungsfreiheit wirklich zuweit gehen? Oder wird es eher einfach nur als „unangenehm“ betrachtet, wenn die Wahrheit, die Fakten auf den Tisch liegen und ungeschönt den Betroffenen ins Gesicht schlagen?
Die Reaktionen einzelner öffentlicher Personen, welche Opfer derartiger Schmähungen oder Angriffen wurden, mögen in den Augen vieler übertrieben sein. Doch auf der anderen Seite ist es auch deren gutes Recht sich über mögliche Falschaussagen oder gar Beleidigungen zu wehren.
Das Sender-Empfänger-Prinzip
Gibt es in all dem Für und Wider eine Antwort auf die Frage, ab wann ist es zuviel? Kann Presse- und Meinungsfreiheit wirklich zuviel werden und sein? Wo ist die Grenze?
Die Gesellschaft ist sich einig, dass es bei gesetzlichen Verstößen spätestens eine Grenze geben muss. Man ist sich auch darüber einig, dass radikale Aussagen nicht tolerierbar sind. Warum also ist es dann doch in Ordnung, wenn man auf persönlicher Ebene beleidigt? Weil der Betroffene unter Umständen ohnehin in einem schlechten Licht steht?
Journalisten, Medien, öffentliche Personen, auch der kleine Bürger sollte sich darüber im Klaren sein, dass jede getätigte Aussage beim Empfänger der Nachricht anders verstanden werden und ein Schlag unter die Gürtellinie darstellen kann. Sei es aus kulturellen Hintergründen, sprachlichen Barrieren oder auf Basis des Informationsstandes.
Es ist ein Paradebeispiel für das „Sender-Empfänger-Prinzip“ der Kommunikationswissenschaft. Es muss keine Eingrenzung der Presse- und Meinungsfreiheit statt finden, keine Grenzen ziehen oder inoffizielle Zensur betreiben. Ein wenig Fingerspitzengefühl seitens des Senders und ein wenig Offenheit und Kritikfähigkeit seitens des Empfängers würden bereits einige der Probleme lösen.